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Memoiren des Monats: „The Perimeter“ von Quintin Lake

Ganze fünf Jahre lang hat der Fotograf Quintin Lake die 11.000 km lange Küste Großbritanniens erkundet – zu Fuß. Seine Memoiren zeugen von einer Mischung aus Ausdauer, Kunstfertigkeit und einer tiefgründigen Reflexion über unsere Nachbarn jenseits des Ärmelkanals.

Person walking alone on a vast, empty beach with gentle waves and a clear sky, casting a long shadow on the sand.
Person walking alone on a vast, empty beach with gentle waves and a clear sky, casting a long shadow on the sand.

Quintin Lakes „The Perimeter“ ist sowohl Aufzeichnung als auch Reflexion. Entstanden während einer fünfjährigen Wanderung entlang der gesamten Küste Großbritanniens verbindet Lake mit seinen Bildern Dokumentarismus und künstlerische Schönheit und fängt eine Nation voller Kontraste ein: jahrhundertealte und verwitterte Burgen, im Sonnenlicht leuchtende Wollbüschel, zu Relikten gewordene Stahlöfen und Offshore-Windparks, die dort entstehen, wo einst Werften florierten. Das Ergebnis ist ein Werk, das sowohl intim als auch episch wirkt und Schönheit, Geschichte und Industrie miteinander verwebt. „The Perimeter“ ist mehr als eine Reise – es ist eine tiefgründige Reflexion über die Identität Großbritanniens, erzählt durch Landschaften, in denen Vergangenheit und Gegenwart aufeinandertreffen.

A person walks on a rocky, arch-shaped cliff above the ocean under a cloudy sky.

Devil’s Bridge, Worm’s Head, Rhossili beach, Swansea, Wales

Was hat dich dazu inspiriert, die gesamte Küste des britischen Festlands zu Fuß zu erkunden?

Lange Wanderungen sind seit meiner Kindheit Teil meines Lebens – zuerst mit meiner Mutter von John O’Groats nach Glasgow, als ich 10 war, und später, mit 20, wanderte ich allein im Winter mit nur einem Biwak von Land’s End nach John O’Groats. Ich hätte nie gedacht, Wandern mit Fotografie zu verbinden, bis ich 2014 eine Meningitis hatte. Um meine Genesung zu unterstützen, folgte ich der Themse von ihrer Quelle bis zum Meer und machte abstrakte Fotos des Wassers in einem quadratischen Format. Diese Arbeit fühlte sich lebendiger an als alles, was ich zuvor gemacht hatte, also wanderte ich weiter am Fluss Severn entlang. Der enorme Tidenhub – also der Unterschied des Wasserstandes bei Flut und Ebbe – und die sich verändernden Landschaften faszinierten mich – diese Zwischenwelt zwischen Land und Meer. Da kam mir die Idee: Warum nicht die gesamte Küste Großbritanniens zu Fuß erkunden?

Gab es einen Moment, in dem dir klar wurde, wie groß diese Herausforderung sein würde?

Fast von Anfang an endete jeder Tag mit Schmerzen – ich hatte mich dazu entschlossen, auf Fahrzeuge oder mechanische Hilfen zu verzichten. Aber nach und nach passte ich mich an und lernte, das zu akzeptieren, was außerhalb meiner Kontrolle lag: Muskelkater, Blasen an den Füßen, die Druckstellen vom Rucksack. Eine gute Nachtruhe und die Vorfreude auf das, was mich hinter der nächsten Landzunge erwarten würde, überwogen bald die Unannehmlichkeiten.

A glowing green tent by a rocky shore under a starry night sky with a bright celestial object reflecting on the water.

Abereiddy Beach, Pembrokeshire Coast Path, Wales

People walking on a wide, sandy beach with distant industrial buildings and smoke under a cloudy sky.

Seaton Carew Beach, County Durham, England

Was war der härteste Tag deiner Reise – körperlich, geistig, emotional?

Knoydart, in den Rough Bounds im Nordwesten Schottlands, war wahrscheinlich der härteste Tag. Man braucht drei Tage für eine Wanderung durch die Berge, ganz ohne befestigten Wanderweg, und als ich im Winter dort entlang wanderte, schien der Regen kein Ende zu nehmen. Weil es so abgelegen war, war mein Rucksack besonders schwer, und das Gelände – rutschige Grasbüschel, Moore und plötzliche Klippen – machte mich fertig. Ich war von morgens bis abends unterwegs, schüttete jeden Abend Wasser aus meinen Stiefeln und zwang mich dann jeden Morgen, wieder die gleichen nassen Klamotten anzuziehen, um meinen Schlafsack trocken zu halten. Ich erinnere mich, wie ich bei Einbruch der Dunkelheit völlig erschöpft in einem Hagelsturm auf einem Grasbüschel zusammenbrach und leise weinte.

Sunset over a serene beach with a castle silhouette on the horizon, reflecting vibrant purple and orange hues on the calm water.

Bamburgh Castle beach, Northumberland, England

People sitting on a pebble beach with colorful flags flying, under a blue sky with scattered clouds and a visible horizon.

Littlehampton beach, West Sussex

Jagged sea stacks rise from the ocean, surrounded by mist and waves, with a lone figure sitting on a grassy cliff in the foreground.

Kynance Cove, Cornwall, England

Wie hast du dich motiviert, diese Hindernisse zu überwinden?

Für mich war „The Perimeter“ immer eher eine kreative Reise als eine Ausdauerprüfung. Durch diese Sichtweise wurden die Schwierigkeiten – Stressfrakturen, Mücken, Verzögerungen durch die Gezeiten – Teil der Geschichte und nicht zu Hindernissen. Ich begann, Rückschläge als Erinnerung daran zu sehen, wie wenig Kontrolle wir in der Wildnis haben und wie sehr Resilienz von Akzeptanz abhängt.

Wie haben 20 kg Ausrüstung deine Fotografie beeinflusst?

Dieses Gewicht zu tragen bedeutete, dass ich sehr auf meinen Körper achten musste – Pausen einlegen, bevor die Müdigkeit einsetzte. Als Fotografen leiden unsere Kreativität und unsere Wahrnehmung als Erste, wenn wir müde sind, also habe ich mich sehr bemüht, das zu schützen. Auch die praktische Ausstattung war entscheidend: Ich habe einen Kameraclip an meinen Rucksack befestigt, damit ich die Kamera immer griffbereit hatte. Bei einem schweren Rucksack kann es sich wie eine zu große Anstrengung anfühlen, ihn abzunehmen, und dieses Zögern kann einen die flüchtigen Lichtmomente kosten, die für die Art der Landschaftsfotografie, die ich bevorzuge, so wichtig sind.

A dramatic landscape with dark storm clouds, rain over a lake, and a vibrant rainbow arching across the scene.

North Morar im Vordergrund mit Knoydart hinter dem Regenbogen über Loch Nevis, Schottland

View through a rustic window shows a serene landscape with a lake, bare trees, and rolling hills under a cloudy sky.

Leacraithnaich Bothy, Ardtornish, Highland, Schottland

Snow-capped mountains with misty clouds, rocky slopes, and a calm lake in the foreground, creating a serene landscape.

Skiary, Loch Hourn von Knoydart aus, Schottland

Gibt es unter den über 1300 Fotos in „The Perimeter“ ein Bild, das für dich eine ganz persönliche Bedeutung hat?

Mein Lieblingsbild aus dem ganzen Buch wurde in Knoydart aufgenommen, mit Blick über Loch Hourn auf das Cottage of Skiary. Die riesigen, fast brutalen Berge fallen steil zum Ufer ab, und der Granit wird durch den Meeresnebel weicher. Diese Auflösung fühlt sich für mich typisch schottisch an: Die Art und Weise, wie die Landschaft langsam durch Feuchtigkeit erodiert wird und dabei geheimnisvoll und schwer fassbar wird. Ich liebe die Tiefe des Bildes – die drei zurückweichenden Ebenen, die schönen Rost- und Grüntöne – und wie das kleine weiße Haus die Szene verankert und ein Gefühl für die Größe vermittelt.

A rural roadside stand with a sign reading "For Sale Eggs Hats Etc" against a barren, rocky landscape under a cloudy sky.

Cuiag, Wester Ross, Schottland

A hazy industrial landscape with a large factory in the background and rows of small green buildings in the foreground at sunset.

Fischerhütten in South Gare, Redcar, England

Moonlit beach scene with a wooden lifeguard tower on stilts, casting reflections on the wet sand.

Pilgrim's Way nach Holy Island, Northumberland, England

A lone person walks along a vast, winding beach with gentle waves and distant cliffs under a hazy sky.

Oxwich Point, Swansea, Wales

Welcher Teil Großbritanniens hat dich am meisten überrascht – ein Ort, der nicht deinen Erwartungen entsprach?

Die größten Überraschungen gab es oft an Orten, die ich schon zu kennen glaubte. Zum Beispiel empfand ich die Wildheit der Küste von Cumbria als viel abgelegener und ursprünglicher als erwartet, vor allem im Vergleich zu den überfüllten Hügeln im Landesinneren. Ebenso hatten die Industriegebiete am Rande von Städten wie Grimsby oder Barrow-in-Furness eine karge Schönheit, die ich nicht erwartet hatte. Zwar rau, aber auch voller Atmosphäre und Geschichte. Von der Wanderung auf dem Broomway, der oft als der gefährlichste Weg Großbritanniens bezeichnet wird, bis zur Ankunft auf Canvey Island, das sich als der freundlichste Ort meiner gesamten Reise herausstellte – diese Kontraste hielten mich auf Trab.

Elderly man in a flat cap and sweater stands on a rural path holding two large tools, with white stone buildings in the background.

The Rhins, Dumfries und Galloway, Schottland

Rolling green hills with a winding path and scattered sheep in the distance under a clear sky.

The Rhins, Dumfries und Galloway, Schottland

Hast du unterwegs Einheimische getroffen, deren Geschichten genauso unvergesslich waren wie die Landschaften?

Ich hatte erwartet, dass sich entlang der Küste viel mehr Menschen treffen würde, daher war ich überrascht, wie leer die Wege oft waren – sogar in Südengland. In Schottland habe ich manchmal tagelang keine Menschenseele gesehen. Das war total anders, als ich erwartet hatte. Diese Einsamkeit machte jede Begegnung umso bedeutungsvoller. Eine solche Begegnung hatte ich hinter dem Mull of Galloway, wo ich einen Bauern traf, der einen Argyle-Pullover und eine Tweed-Schirmmütze trug. Er hatte eine Spitzhacke, einen Besen und eine Schaufel dabei und schien überrascht, jemanden aus meiner Richtung kommen zu sehen. Mit einem warmen, bezaubernden Akzent, der irgendwo zwischen irisch und schottisch lag, erzählte er mir mit einer Vitalität, die seine 80 Jahre Lügen strafte, dass er die Farm größtenteils alleine bewirtschaftete. „Heutzutage verlassen alle jungen Leute nach der Schule den Ort“, sagte er wehmütig.

Aerial view of a person walking on a sandy beach with gentle waves approaching the shore, casting a long shadow.

Skegness beach, Lincolnshire, England

A person in a red jacket and backpack crosses a shallow, rocky stream barefoot, using trekking poles for support.

River Carnach, Knoydart, Schottland

Devil’s Head, Angus, Schottland

Fünf Jahre lang zu wandern ist ebenso eine innere Reise wie eine physische. Wie hat diese Erfahrung dich persönlich verändert?

Die 11.000 km zu Fuß entlang der gesamten Küste haben mir nicht nur die physischen Konturen der Insel gezeigt, sondern auch ein tieferes Paradoxon: Trotz der Länge der Reise fühle ich jetzt eine tiefe Verbundenheit mit ganz Großbritannien. Wenn ich in London in der U-Bahn sitze, bin ich oft von einer stillen Ehrfurcht ergriffen, wenn mir klar wird, dass dieser überfüllte Waggon zur selben Landmasse gehört wie die abgelegenen Klippen von Cape Wrath. Meine eigenen Vorräte zu tragen und nachts auf dem Boden zu schlafen, ist nach wie vor meine wichtigste Methode, um die Landschaft und, im weiteren Sinne, unseren Platz darin zu verstehen.

Curved concrete bridge over calm water with lush green hills in the background under a clear blue sky.

Kylesku-Brücke, Sutherland, Schottland

Tall, rectangular concrete building labeled "Dorman Long" against a cloudy sky, surrounded by industrial structures and grassy field.

Dorman Long Tower, South Bank, Teeside, England

Das Riverside Museum of Transport, Glasgow, Schottland

A weathered, round stone fort with an attached brick building on a muddy shore under a cloudy sky.

Grain Tower Battery, Kent, England

Coastal town with tall industrial structures and cranes in the background under a cloudy sky.

Cromarty, Ross und Cromarty, Schottland

Close-up of a large brick building with numerous windows and an external metal staircase running vertically along the side.

Verlassenes Tabaklagerhaus Stanley Dock, Liverpool, England

Coastal cliffside path with rugged terrain, overlooking a vast ocean under a clear sky, distant hills visible across the water.

Ynys Lochtyn vom Küstenweg aus gesehen, Ceredigio, Wales

A long, narrow bridge stretches across a vast, empty landscape with distant hills under a moody, overcast sky.

Barmouth-Viadukt, Barmouth, Wales

Was hoffst du, dass die Leser über die Fotografie hinaus aus The Perimeter mitnehmen?

Ich hoffe, bei den Lesern die gleichen Gefühle zu wecken, die ich beim Wandern entlang der Küste Großbritanniens erlebt habe – Ehrfurcht und Staunen, gepaart mit Unerwartetem, Ergreifendem und manchmal auch leisem Humor. Ich möchte, dass sie dieselbe Neugier verspüren, denselben Drang, die nächste Seite aufzuschlagen, so wie ich davon angezogen war, zu sehen, was hinter der nächsten Landzunge lag. Mein Ziel ist es, zu zeigen, dass jeder Kilometer unserer weitläufigen Küste etwas Sehenswertes zu bieten hat. Es mag dramatisch oder zurückhaltend, wild oder vom Menschen verändert sein – aber wenn wir uns ihm mit offenem Geist und aufgeschlossener Fantasie nähern, offenbart sich sein Reichtum.

The Perimeter: A Photographic Journey around the Coast of Britain, erschienen bei Hutchinson Heinemann, ist jetzt erhältlich.

Quintin kann über Instagram oder X unter @quintinlake kontaktiert werden. Das gesamte Bildarchiv von The Perimeter kann unter theperimeter.uk angesehen und als Drucke erworben werden.

Book cover titled "The Perimeter" by Quintin Lake, featuring a rugged coastal rock formation with a person standing on top.
Open book showing landscape and portrait photos of mountains, a harbor, people, a stag, a bicycle, and a horse in rural settings.

The Perimeter: A Photographic Journey around the Coast of Britain, erschienen bei Hutchinson Heinemann, ist jetzt erhältlich.